Makellose Materialien neu interpretiert: Zweitwerk gibt hochwertigen Automobilbauteilen, die normalerweise als Ausschuss gelten, ein zweites Leben und verwandelt sie in außergewöhnliche Designstücke für moderne Wohnräume. Ob Kerzenständer und Vasen aus Achshülsen oder Garderoben aus Achsschrauben – in jedem Produkt steckt das Herzblut eines Gründergeistes, der mit erstaunlicher Energie und Ausdauer Zweitwerk auf den Weg gebracht hat.
Bereits mit sechs Jahren fährt Robin Rössler zum ersten Mal Motocross, mit zwölf steht er regelmäßig in der Werkstatt seines Vaters. „Autos haben mich schon immer fasziniert“, erklärt Rössler. Deshalb beginnt er nach der Schule ein duales Studium bei Volkswagen. Nach über fünfundzwanzig Jahren im Konzern ist der 46-jährige heute Führungskraft bei VW – und Ideengeber für ein konzerninternes Startup-Projekt namens Zweitwerk.
Von den Maschinen zum Mobiliar
Die Idee, aus Autos, Motorrädern oder Flugzeugen stilvolle Upcycling-Produkte herzustellen und sich damit selbstständig zu machen, begleitet Rössler schon sehr lange. 2007 baut er die erste Uhr aus einer alten Bremsscheibe mit einem Drehzahlmesser als Zifferblatt. Es folgen Tische und Lampen aus Autoteilen für Freunde und Verwandte. Das Feedback ist durchweg positiv und bestärkt ihn, den Gedanken weiter zu verfolgen.

Ungewöhnlicher Aufhänger: Die massive Achsschraube aus dem Fahrzeug wird zur minimalistischen Garderobe
2019, mehr als zehn Jahre nach dem ersten Prototypen, scheint das Schicksal persönlich bei Rössler anzuklopfen. Ihn erreicht ein Informationsschreiben von Volkswagen, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermutigt, Geschäftsideen einzureichen. Der Innovationsfonds II der Betriebsräte und des Volkswagen-Vorstands fördert interne Projekte entlang der automobilen Wertschöpfung, die dem Zeitgeist von VW entsprechen. Rössler spürt die Aufregung, denn er fühlt sich bereit, seine Idee in der hauseigenen Höhle der Löwen zu präsentieren.
Erfolg beim Innovationsfonds für Intrapreneure
Rössler leitet zu diesem Zeitpunkt in Braunschweig ein Team im Bereich Lenkungskomponenten. Sein Gedanke: „Ich sitze hier an der Quelle und sehe genau, wo Ausschussteile entstehen und was wir an Materialien wiederverwerten können.“ Mit zwei, drei Produkten, die Rössler bereits in seiner Freizeit hergestellt hat, überzeugt er die positiv überraschte Jury: „So etwas haben wir noch nie gesehen!“ Rösslers Idee landet auf Platz 5 von 130 eingereichten Projekten. Es folgt ein mehrmonatiges Unternehmertraining mit Einblicken in Recht, Marketing und Vertrieb.

Was ursprünglich als Achshülse gedacht war, funktioniert jetzt auch als Kerzenständer oder Vase
Über ein VW-internes Vorstellungsvideo lernt Rössler schließlich seine spätere Mitgründerin Lilly Gatz kennen, die ihn direkt nach der Veröffentlichung des Videos anruft. Noch am selben Abend fährt Rössler von Braunschweig nach Wolfsburg, um sie zu treffen. Die studierte Betriebswirtin mit künstlerischem Hintergrund ergänzt Rösslers Faszination für Technik und Fertigung mit ihrer Begeisterung für Farben, Materialien und Formen.
Repurpose: Von der Achshülse zum Kerzenständer
Gemeinsam entwickeln sie die Idee des Repurposing weiter. Inspirationen für das Design entstehen durch zwei unterschiedliche Herangehensweisen: Entweder dienen die vorhandenen Teile als Vorlage für ein neues Produkt, oder es existiert bereits eine konkrete Vision, zu der passende Ausschussstücke ausgewählt werden.
Es folgen zusätzlich Wettbewerbe mit der Designhochschule in Magdeburg und Hannover und eine Zusammenarbeit unter anderem mit den Designern Julian Appelius und Niels Kleindienst aus Berlin. Daraus sind Ideen gewachsen wie der ZW.02 Kerzenständer, die ZW.01, ZW.04 und ZW.05 Garderoben und der ZW.03 Schlüsselanhänger. Aktuell entwickelt Zweitwerk auch eine Wohnzimmerleuchte aus Bremsdruckleitungen.
Um den ausrangierten Teilen eine neue Funktion zu geben, soll in jedem Produkt rund die Hälfte aus Automobilteil bestehen, die andere aus einem anderen Material wie Holz. Im optimalen Fall wird auch dieses irgendwann aus Ausschussware von beispielsweise Möbelproduzenten bestehen. Die Herausforderung besteht jedoch immer erstmal darin, eine mittlere vierstellige Zahl an Autobauteilen einzusammeln, um ein Produkt in Serie zu fertigen.

Noch Lagerware, bald Designobjekt: Bei Zweitwerk finden ausrangierte Achshülsen eine neue Funktion
Gemeinsam fahren Robin Rössler und Lilly Gatz anfangs noch selbst die Werke ab. In Salzgitter, Kassel, Zwickau, Wolfsburg und Braunschweig sammeln sie ein, was nicht für die Automobilproduktion verwendet werden darf, wie Schrauben, Achshülsen und Zahnriemen, die den akribischen Prüfprozess wegen marginaler Fehler nicht bestanden haben. So wird beispielsweise eine Bremsscheibe an bis zu 50 verschiedenen Qualitätspunkten auf ihre Maßhaltigkeit untersucht. Fällt auch nur eine Prüfstufe negativ aus, wird sie aussortiert und darf nicht im künftigen Fahrzeug verbaut werden – in einem Lifestyle- oder Einrichtungsprodukt kann sie dagegen ewig halten.
In jedem Schritt durchdacht und verlässlich geprüft
Und da eine Startup-Idee und die daraus entwickelten Produkte in einem großen Konzern wie VW zu einhundert Prozent rechtssicher sein müssen, folgen für Rössler und Gatz Termine beim Ethikrat, bei der Compliance, der Produkthaftung, IT und bei verschiedenen Rechtsabteilungen. Bevor sie ihr erstes Produkt in Serie produzieren, müssen über 500 Fragen beantwortet werden, darunter: Was passiert, wenn jemand versucht, ein Teil wieder in ein Auto zu verbauen? Schlußendlich werden auch noch alle Produkte sorgfältig TÜV-zertifiziert.

Rauer Ursprung, zarte Wirkung – die Achshülse als überraschend elegantes Wohnaccessoire

Neben Buttergelb zählt Rosa in diesem Sommer zu den absoluten Trendfarben – auch im Einrichtungsbereich.

Ob in der Mode oder im Designbereich: Auch Orange gehört in diesem Sommer zu den absoluten Farb-Highlights.
„Mir ist ein angenehmes Arbeitsleben und Miteinander sehr wichtig,“ erklärt Rössler. Deshalb hat er sehr sorgfältig nach geeigneten Produktionspartnern gesucht. Durch Zufall fand er in Süddeutschland einen Schreiner, der mit seinem Drehautomat die Kerzenständeraufsätze aus Eiche herstellt. Der damalige Geschäftsführer der Glasmanufaktur Harzkristall war wiederum so von der Idee begeistert, dass er ihm den Kontakt zur Kunst- und Laborglasbläserei Gauer Glas in Püttlingen vermittelte, einem Familienunternehmen, von dem er nun das Borosilikatglas für die Blumenvasen bezieht.
Lokal gefertigt bei VW
Zusammengebaut werden die Produkte bei Volkswagen in Wolfsburg im sogenannten Storchennest. So beschreibt das Unternehmen intern eigene Ruhearbeitsplätze für schwangere Frauen, die nicht mehr taktgebunden in der Produktion arbeiten dürfen. Darüber hinaus arbeitet Zweitwerk mit diakonischen Werken und Lebenshilfen zusammen, die den Versand der bis ins Detail durchdachten Produkte mit aufwendig gestalteten Verpackungen aus Recyclingkarton übernehmen.

Katja Lenkowski, Maya Luise Gauer und Robin Rössler vom Zweitwerk-Team mit der neuen Möbellinie aus VW-Sitzbezugsstoffen (noch nicht im Shop erhältlich)
Zweitwerk zeigt, wie wertvoll firmeninterne Ideenschmieden für die Kreislaufwirtschaft sind. Als Schnittstelle zwischen Industrie und Absatzmarkt entwickeln sie aus Rest- oder Ausschussstoffen neue Produkte, die auf den Markt gebracht werden. Bei VW ist Zweitwerk aktuell in der Service-Factory eingegliedert, ein Dienstleistungsbereich, der unter anderem die Recyclingwirtschaft umfasst. Rössler ist hier für 81 Mitarbeitende zuständig, 2 davon gehören mit ihm zum Team von Zweitwerk.
„Ich brenne für dieses Projekt und freue mich jeden Tag darüber“, sagt Robin Rössler, Gründer von Zweitwerk. „Dabei ging es mir nie darum, es besonders einfach oder schnell zu machen, sondern etwas wirklich Gutes zu tun.“
Angesichts der Herausforderungen unserer Zeit möchte Rössler mit Zweitwerk eine ebenso einfache wie prägnante Botschaft aussenden: „Wir müssen uns zusammentun“. Aktuell plant er eine Kooperation mit Airpaq, ein Jungunternehmen aus Köln, das Upcycling-Rücksäcke aus Airbags anbietet. Mit dem Büromöbelhersteller Sedus arbeitet das Zweitwerk-Team bereits an Sitzmöbeln mit Überhangstoffen aus der VW-Produktion. Künftig möchte Rössler auch anderen Konzernen und Startups als Mentor zur Seite stehen: „Wir haben vier Jahre an diesem Projekt gearbeitet und können auf ein großes Know-how zurückgreifen, um potenzielle Gründerinnen und Gründer dabei zu unterstützen, aus einem Konzern heraus eine kreislauffähige Idee zu entwickeln und umzusetzen“.

Neu im Shop: Die Wanduhr ZW.07 – gefertigt aus einer gepulverten Bremsscheibe in sechs verschiedenen Farben

Das Ziffernblatt aus Eichenholz und die Zeiger aus Präzisionsacryl komplettieren die neue Wanduhr von Zweitwerk
Auto- und Designfans finden die Produkte von Zweitwerk in den VW-Werken in Hannover und Wolfsburg, in der Autostadt und im Kunstmuseum in Wolfsburg sowie im Drive Berlin. Außerdem lassen sich die Wohnaccessoires unter www.zweitwerk-shop.de bequem nach Hause bestellen. Die Preise variieren zwischen 21,90 Euro für ein Schlüsselbund, 24,90 Euro für einen Kerzenständer, 54,90 Euro für Kerzenständer mit Vasenaufsatz, 34,90 Euro für einen Garderobenknopf sowie 119,90 Euro für eine Garderobenleiste und 219,00 Euro für die Wanduhr. Diese sind alle mit hochwertiger Pulverbeschichtung in modernen Farben wie Blassgrün, Seidengrau oder Leuchtorange erhältlich.

Auf das Wesentliche reduziert und voller Leichtigkeit: neue Leuchte von Zweitwerk aus Bremsdruckleitungen (noch nicht im Shop erhältlich)
Fotos: Lilli Scheuerlein